AIDS und das zu späte Erwachen            von Satyananda

Die Demonstranten drängelten sich durch die Toreinfahrt in den Innenhof: des Hamburger Tabaan OMC, und wir hatten ein mulmiges Gefühl im Magen. Das Hamburger Schanzenviertel, in dem das Tabaan liegt, ist ein uriges Biotop für Alternative aller Art – Wohnwagennomaden, Chaoten, Lebenskünstler, Dopedealer und viele andere Randgruppen, die ihren Frust gerne in heftiger Randale entladen.

Aber es wurde nicht so schlimm, wie wir befürchtet hatten, denn die Mehrzahl der Demonstranten waren sanfte Schwule, die sich über die Aids-Test-Vorschrift in Oshos Meditations-Zentren empörten.

Eine aufgeregte taz-Reporterin, die sich bis zum Tabaan Empfang vorgearbeitet hatte, stellte mit energischer Stimme die naheliegende Frage: "Wieso braucht man eigentlich zum Meditieren einen Aids-Test?"

Für mich ist der Aids-Test eine Ermahnung, sich immer wieder bewußt zu machen, daß diese Seuche eine der größten Gefahren für die Menschheit ist.

Als Osho das Mitte der 80er Jahre postulierte, machten sich die Medien über die Anti-Aids-Maßnahmen in der Kommune in Oregon lustig und brandmarkten seine Warnng als schrille Panikmache. Die Seuche grassierte zunächst scheinbar nur in den Schwulenvierteln von San Francisco. Und als sie sich im Westen nicht so schnell ausbreitete, wie manche Experten befürchtet hatten, geriet sie fast in Vergessenheit.

Umfragen zeigen, daß "Safe Sex" bei den meisten jungen Leuten unpopulär ist. Viele, die früher noch Kondome benutzt haben, halten es jetzt nicht mehr für nötig. Die Pharma-Industrie hat zudem Medikamente entwickelt, die die Ausbreitung des Virus im Körper verlangsamen, ja sogar häufig zum Stillstand bringen. Selbst in der Schwulen-Szene haben Entwarnungs-Signale dazu geführt, daß man in den Clubs so munter weitermacht wie vor zehn Jahren. Die menschliche Natur neigt dazu, tödliche Gefahren so lange zu verdrängen, bis die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist. So hat Aids nur ein paar kurze Jahre lang Unbehagen ausgelöst, aber keineswegs zu der politisch-kulturellen Kraftanstrengung geführt, die zur Bewältigung der Seuche notwendig gewesen wäre.

Inzwischen ist die Katastrophe eingetreten, so wie Osho sie prophezeit hat. Schrecken wir auf? Sind wir alarmiert? Nein, überhaupt nicht! Denn die Katastrophenmeldungen kommen nicht aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft, sondern von weit her – aus Afrika südlich der Sahara. Dort unten ist die Seuche außer Kontrolle geraten. Aber weil die Welt im Zeitalter der Globalisierung mit jedem Tag kleiner wird und alle Menschen zu Nachbarn gemacht hat, haben wir allen Grund, uns ganz persönlich betroffen zu fühlen.

Das hat den amerikanischen Vize-Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten Al Gore kürzlich veranlaßt, auf einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrats die Aids-Seuche in Afrika zum Schwerpunktthema zu machen. Gore:,Aids ist ein globaler Aggressor, der besiegt werden muß!" Das hat Osho schon immer gesagt, aber es hat fünfzehn Jahre gedauert, bis es jetzt anfängt, sich langsam herumzusprechen.

 Die Zahlen in Afriha sprechen für sich:

  • südlich der Sahara sind bereits 14 Millionen Menschen an Aids gestorben
  • jeden Tag stecken sich 11 000 Afrikaner mit dem Virus an
  • 23 Millionen haben sich bereits infiziert
  • 11 Millionen Kinder sind durch Aids zu Waisenkindern geworden.

Al Gore wies darauf hin, daß die Zahl der Aids-Opfer schon in zehn Jahren die Zahl der Toten aller Kriege des 20. Jahrhunderts übertreffen könnte.

UNO-Experten nennen Asien den zweitgrößten Seuchenherd. Auch hier stehen die Zeichen auf Sturm, besonders in Indien, wo sich die Behörden noch bis vor kurzem geweigert haben, Aids überhaupt als eine Gefahr anzuerkennen. Erste Ermittlungen haben ergeben, daß über achtzig Prozent der LKW-Fahrer HIV-positiv sind und fast neunzig Prozent der Prostituierten in den indischen Metropolen. Diese beiden Gruppen gelten als wichtige Multiplikatoren, die die Seuche flächendeckend verbreiten.

Besonders alarmierend sind zwei Erscheinungen, die es im Westen (noch) nicht gibt: Aids ist in Afrika und in Indien keine männerspezifische Seuche; der Virus befällt Männer und Frauen gleichermaßen. Zweitens: An der Seuche erkranken nicht nur die sozial Schwachen, sondern vor allem auch die Eliten – Akademiker, Offiziere, hohe Beamte, Lehrer. In Zimbabwe z.B. mußten in manchen Gegenden die Schulen geschlossen werden, weil es nicht mehr genug Lehrer gibt.

UNO-Experten schätzen, daß der durch Aids verursachte "brain drain", – was soviel bedeutet wie, daß die "Intelligentia" des Landes schwindet-, den mühsam errungenen wirtschaftlichen Fortschritt in manchen afrikanischen Ländern wieder zunichte macht. Und vieles spricht dafür, daß sich Indien auf afrikanische Verhältnisse zubewegt.

Seitdem man Aids im Westen als "globalen Aggressor" erkennt, erschallt nun endlich auch der Ruf nach einem Impfstoff gegen die Seuche. Bisher hat sich die Pharma- Industrie auf die Entwicklung von Medikamenten gegen Aids beschränkt. Das hat sich gelohnt. Die Aids Medikamente sind teuer und hochprofitabel. In armen Ländern kann sie sich niemand leisten.

Als in Südafrika die Aids-Medikamente unter anderem Namen und zu einem Bruchteil des westlichen Marktpreises auf den Markt kamen, hat Washington die südafrikanische Regierung mit Sanktionen bedroht. Das hat die Schwulen in den USA gegen Al Gore aufgebracht, den die Pharma-Industrie vor ihren Karren gespannt hatte. Gore braucht aber die Stimmen der Schwulen, wenn er Präsident werden will, also wechselte er schleunigst die Fronten und tritt neuerdings dafür ein, daß die Afrikaner billige Aids-Medizin produzieren dürfen.

Aber warum gibt es noch keinen Impfstoff gegen Aids? Im Januar berichtete die "Washington Post", wie die Pharma-Industrie die Sache sieht: "... der größte Markt für einen solchen Impfstoff wären die armen Länder und die könnten nicht viel dafür bezahlen. Die Pharmaindustrie fürchtet, daß sie unter politischem Druck gezwungen werden könnte, einen Impfstoff, den sie langfristig und mit großem finanziellen Aufwand entwickelt hat, zu erschwinglichen Preisen, also unrentabel, abzusetzen."

Inzwischen hat der Amerikaner Seth Berkley die "Internationale Aids Impfstoff Initiative" gegründet. Sie motiviert weltweit reiche Stifter (Bill Gates) und Institutionen (Weltbank), einflußreiche Industriekapitäne und westliche Regierungen dazu, Hunderte von Millionen Dollar in einen Forschungsfond einzuzahlen. Mit diesem Geld soll die Entwicklung eines erschwinglichen Impfstoffes vorangetrieben werden. Noch ist die Seuche im Westen nicht außer Kontrolle geraten. Aber daß es keinen Grund zur Entwarnung gibt, beweisen unter anderem Informationen aus der katholischen Kirche in Amerika. Ende März berichtete der Kansas City Star in einer sorgfältig recherchierten Artikelserie, daß die Aids-Todesrate unter katholischen Priestern viermal so hoch ist wie beim Durchschnitt der Bevölkerung. Die Zeitung hatte einen Fragebogen an 3000 von insgesamt 46 000 katholischen Geistlichen geschickt. 810 haben ihn beantwortet, also 27 Prozent.

Sechs von zehn Priestern, die den Fragebogen beantwortet hatten, gaben an, daß sie mindestens einen Kollegen kannten, der an Aids gestorben ist. Ein Drittel der Befragten gab an, daß sie einen Kollegen kennen, der sich mit dem HIV-Virus infiziert hat.

Fünfzehn Prozent der vom Kansas City Star befragten Geistlichen beseichneten sich sls schwul, fünf Prozent als bisexuell.

Wieviele Priester exakt in den USA an Aids gestorben sind, ist ungewiß, weil die katholische Kirche Aids zu einem Tabuthema gemacht hat. Der Kansas City Star hat festgestellt, daß auf den Todesbescheinigungen von Geistlichen, die an Aids gestorben sind, die Seuche generell nicht als Todesursache aufgeführt wird. Die meisten erkrankten Geistlichen outen sich nicht, und die Bischöfe schweigen.

Als der City Star den katholischen Bischof’ Borland von Kansas City um einen Kommentar bat, sagte der nur: "So sehr ich das bedaure, das zeigt, daß die menschliche Natur eben die menschliche Natur ist."

Im vorigen Jahr hatte die Deutsche Presseagentur aus Washington berichtet, daß die katholische Kirche Amerikas rund zwei Milliarden Dollar Schadensersatz und Schmerzensgeld an die Angehörigen von Kindern bezahlt hat, die von katholischen Geistlichen sexuell mißbraucht worden sind. Vor dem Hintergrund dieses Tatbestandes erscheint das Aids-Problem der katholischen Kirche als eine unheimliche Zeitbombe.

Aids, so zeigt sich überall, ist nicht nur ein medizinisches Problem. Aids ist auch ein Phänomen, das uns krasse Bewußtseinsdefizite offenbart. Osho hat das immer so gesehen. Unter diesem Aspekt betrachtet ist der Aids-Test eine subtile und fast schon geniale Aufforderung, der Seuche mit einem wachen Bewußtsein zu begegnen.